Die ersten Jahre (geschrieben 2011 von Bruno Niehoff)
Ab 1974: Die Zeiten der ersten Improvisationen
ASPM – wer kann sich das schon merken?
Mit dem „Club 17“ – wer erinnert sich noch? – wurde 1969 im evangelischen Gemeindezentrum Melverode das erste selbstverwaltete Jugendzentrum Braunschweigs gegründet. Bis 1971 lief die Arbeit zwar nie problemlos, aber doch „ruhig“. Dann gab es zusehend mehr Probleme. Es wurde klar, dass die Arbeit verantwortlich nur mit mehr Mitarbeiter durchgeführt werden konnte. Außerdem waren die Räume ungeeignet. Kindergruppen, Konfirmandenunterricht, Erwachsenen- und Altenkreis parallel neben dem Jugendzentrumsbetrieb.
1974 wurde das Jugendzentrum mit dem Versprechen geschlossen es weiterzuführen, wenn geeignete Räumlichkeiten und ein eigener Eingang für die offene Jugendarbeit zur Verfügung stehen würden. Konsequenz für mich als zuständiger Sozialarbeiter war, dass die Arbeit nicht erst mit den Jugendlichen anfangen darf. Wer etwas erreichen will, muss sich schon um die Kinder kümmern.
Von 1973 an nahm ich verstärkt am Konfirmandenunterricht teil. Nach der Konfirmation 1974 sollte ein Seminar in Alt-Wallmoden klären, wie es nach dem Unterricht weiter gehen sollte. Denn dass man nach der „Theorie“ auch als Gruppe zusammenbleiben und eine praktische Aufgabe in der Kirchengemeinde übernehmen wollte, war meiner Konfirmandengruppe klar. Mit zwei Vorschlägen im „Gepäck“ reisten die Jugendlichen nach Alt-Wallmoden: Ein „Knast-Radio“, d. h. Austausch von Tonbandkassetten mit Jugendlichen im Gefängnis oder Einsatz für Spielplätze.
Der in Alt-Wallmoden gezeigte Film „Bauspielplätze in Dänemark“ gab dann den Ausschlag. Die Gruppe war begeisterte und beschloss nach Dänemark zu fahren, um „vor Ort“ zu sehen, ob sich die Idee der Dänen auch in Melverode umsetzen ließ. Über Pfingsten fuhren wir dann mit meinem alten VW-Bus nach Dänemark. Die Idee für „ihren“ Spielplatz fanden die Jugendlichen im Kopenhagener Stadtteil Tjingberg. Ein Platz mit festen Häusern und von den Kindern selbst gebauten Holzhütten und – davon waren alle begeistert – Tierhaltung.
Auf dem Heimweg wurden Pläne geschmiedet. Schon während der Sommerferien sollte eine Spielaktion durchgeführt werden. Ein von den Jugendlichen organisierter und durchgeführter Flohmarkt brachte das nötige Geld dafür ein. Als Platz wurde von uns die Grünfläche an der Militschstraße neben der Bezirkssportanlage ausgesucht. Das Stadtgartenamt war von dieser Idee überhaupt nicht begeistert. Hatte man doch gerade erst die Fläche gärtnerisch „in Ordnung“ gebracht und nun sollten Löcher gegraben und Feuer angezündet werden? Man wies uns das Grundstück in den Okerwiesen zu.
Nach dem ersten Gefühl „abgeschoben“ zu sein – schließlich sollte der Spielplatz in der Ortsmitte und nicht am Rand sein – erkannten wir schnell, welch ein schönes Gelände sich hier für die Kinder anbot. Die Spielaktion in den Sommerferien war ein voller Erfolg. Glücklich und „geschafft“ nach so viel positivem Stress kam das traurige Ende. Der Spielplatz musste aufgegeben, alle provisorischen Bauten beseitigt werden.
Doch so schnell wollte keiner aufgeben. Die Jugendgruppe nannte sich „ASPM“ (interne Diskussion: „Wer kann sich schon diesen Namen merken!“). ASPM stand für „Abenteuerspielplatz Melverode“ und der sollte nicht nur für einen Sommer eingerichtet werden. Einige Eltern der Kinder, die im Sommer an der Spielplatzaktion teilgenommen hatten, bildeten eine „Elterninitiative für einen Abenteuerspielplatz in Melverode“, die sich alle 14 Tage im Gemeindezentrum traf. Ein Melveroder Geschäftsmann, Herr Nitsche, stellte der Jugendgruppe und den Eltern ein leer stehendes Ladengeschäft im Einkaufszentrum zur Verfügung.
Die Aktion für das nächste Jahr wurde geplant und von vornherein war klar: Diesmal bleiben wir auf dem Platz und reißen keine Hütten ab. Auch organisatorisch wurden die Vorbereitungen für einen ständigen Spielplatz getroffen. Aus einem 1973 in der Kirchengemeinde zur Unterstützung der Jugendarbeit gegründeten „Verein zur Förderung der offenen Jugendarbeit in Melverode“ wurde Ende Januar 1975 der „Verein zur Förderung der offenen Kinder- und Jugendarbeit in Melverode“.
Am 25. Februar 1975 stellt der Verein einen „Antrag auf Förderung der Einrichtung eines Abenteuerspielplatzes in den Okerwiesen in Melverode“ an den Jugendwohlfahrtsausschuss der Stadt Braunschweig. Der Antrag schloss mit den Worten „Da wir den Abenteuerspielplatz spätestens zum Beginn der Sommerferien eröffnen wollen, bitten wir um eine baldige Entscheidung über unseren Antrag. Im Interesse unserer Kinder hoffen wir auf eine positive Antwort.“
Parallel zu den Verhandlungen mit der Stadt wurde die Sommeraktion 1975 geplant. An der Planung nahm schon Evelyn Männig teil, die im Rahmen eines Praktikums in der Jugendarbeit der Kirchengemeinde arbeitete. Die Arbeit auf dem Platz übernahm ab den Sommerferien Margot Steinwachs, die zu der Zeit ihr Vorpraktikum in der Jugendarbeit der Kirchengemeinde ableistete, zusammen mit der Jugendgruppe ASPM. Mit dabei war auch Gunter Eckhard, damals Zivildienstleistender im Melveröder Kirchenzentrum, der später für einige Jahre Vereinsvorsitzender war.
Zur Finanzierung der Sommeraktion führte die Kirchengemeinde eine Sammlung durch. Um die Abgaben der Spenden zu erleichtern, stellten die Melveröder Geschäftsleute Behälter in ihren Läden auf. Die Ferienaktion wurde wieder ein voller Erfolg. Aktiv mit dabei auch der neue Melveröder Pastor Volker Awolin und seine Frau Dorle.
Doch wie sollte es weitergehen? Noch immer stand eine Antwort auf unseren Antrag an die Stadt aus. Evelyn Männig war bereit ihr Berufspraktikum auf dem Platz abzuleisten. Es fehlte nur die Zustimmung des Jugendhilfeausschusses. Und der sagte nach den Sommerferien ein klares „Ja aber“ und bewilligte nur einen einmaligen Zuschuss zu den Sachkosten mit der Auflage, davon keine festen Häuser zu bauen.
Haben wir auch nicht. Wir bekamen eine schon ein wenig baufällige Holzhütte (4 x 4m) geschenkt, die wir von dem Geld renovierten und „winterfest“ machten. Einweihung war im Dezember. Die Hütte stand dort, wo jetzt das neue Kinderhaus steht.
Das zweite Holzhaus (60 qm, in dem jetzt das Mitarbeiterbüro und die Küche untergebracht ist) wurde uns vom evangelischen Stadtjugendpfarramt geschenkt und stand auf einem Zeltplatz an der Ostsee. Jedes Teil wurde einzeln nummeriert und zunächst auf dem Parkplatz des Kindergartens neben der Kirche gelagert. Der Abbau und der Transport war eine Frage des Arbeitseinsatzes. Für den Ausbau fehlte das Geld. Als sich die Verhandlungen mit der Stadt hinauszogen, wurde das Haus in einer Scheune in Timmerlah „zwischengelagert“.
Mit Beginn der Sommerferien 1976 konnte Evelyn Männig, nachdem der Platz vorher zwei Monate lang geschlossen bleiben musste, als Berufspraktikantin eingestellt werden. Möglich war das durch einen Zuschuss der Stadt, der aber immer noch nicht die erhoffte endgültige Absicherung brachte. Die gab es erst im Juni 1977 mit einer Stelle für Evelyn und der Genehmigung unseres Bauantrages. Die dann einsetzenden Bautätigkeiten beendeten die Zeit der allerersten Improvisation: Stromanschluss statt Verlängerungskabel, Wasseranschluss statt Gartenschlauch und die Garage als Werkzeugausgabe statt diversen Schrottautos. Natürlich wurde auch das Holzhaus aus Timmerlah geholt und aufgebaut.
Auch danach war noch nicht alles sicher. Um die Finanzen musste weiter gebangt werden. So wurde im Dezember 1977 von den Vereinsmitgliedern noch eine Haussammlung in Melverode durchgeführt. Es dauerte auch noch einige Zeit, bis der Toilettenwagen am Straßenrand verschwand und durch einen Containerbau neben dem Haus ersetzt werden konnte. Aber das war schon in einer Zeit, in der ich fast nur noch mit der Jugendarbeit der Kirchengemeinde beschäftigt war. Durch Schaffung eines eigenen Eingangs wurde aus den Räumen des ehemaligen „Club 17“ das Dietrich-Bonhoeffer-Jugendzentrum. Zusammen mit mir waren zwei weitere Mitarbeiterinnen und zusätzliche Honorarkräfte im Jugendzentrum tätig. 1983 wurde das Jugendzentrum vom Kirchenvorstand geschlossen. Doch das ist eine ganz andere Geschichte.
Beim Schreiben dieses Berichtes kam mir immer wieder B. in den Sinn. Als die Jugendarbeit im „Club 17“ begann, habe ich B. als Kind „am Rand“ zur Kenntnis genommen. Zu klein für den „Club“. Als der Spielplatz Wirklichkeit wurde, war B. kein Kind mehr. Als das Jugendzentrum eröffnet wurde, war es zu spät. Mitarbeiter und Jugendliche haben mehrere streitbare Jahre mit ihm verbracht. Alkoholproblem. Ausrasten. B. hat sich im Jugendgefängnis das Leben genommen.
Ich weiß nicht, ob es ihm etwas geholfen hätte, wenn es den Abenteuerspielplatz schon immer gegeben hätte. Aber der Platz hätte eine wichtige Chance für ihn sein können. Man hat sie ihm nicht gegeben.
Natürlich sind da noch andere Namen – und sie sind für mich verbunden mit einer schönen Zeit in Melverode. Da ist die Erinnerung an Bürgerinnen und Bürger eines Stadtteils, Jung und Alt, die sich für die Kinder einsetzten. Da sind aber besonders die Jugendlichen der „ASPM“, die jetzt auch alle um die 35 Jahre alt sind. Durch ihren Einsatz haben sie den Spielplatz geschaffen.
ASPM: Abenteuerspielplatz Melverode. Ist doch ganz leicht zu merken.
PS: Habe ich eigentlich schon gesagt, dass mich der Abenteuerspielplatz an „unseren“ Platz in Tjingberg erinnert.